Exotischer Besucher aus dem All – Sächsische Forschungsteams untersuchen spektakulären Meteoritenfund
Wer in Norddeutschland am Nachmittag des 12. September 2019 die Augen gegen den Himmel richtete, konnte Zeuge eines ungewöhnlichen Schauspiels werden: Kurz blinkte ein heller Lichtstreif auf, begleitet von einem Knall – ein Meteorit aus dem Weltall. Am Tag danach vermeldete ein Bürger aus Flensburg einen seltsamen Fund: In seinem Garten lag plötzlich ein tischtennisballgroßer Stein von ungewöhnlichem Aussehen. Seitdem versetzt der „Flensburg-Meteorit“ die Fachwelt in Aufregung: Er zeigt bemerkenswerte Eigenschaften, etwa eine auffällig geringe Dichte. Mittlerweile beteiligen sich etwa 20 Arbeitsgruppen an der Analyse – darunter mehrere Teams vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR), dem dazugehörigen Helmholtz-Institut Freiberg für Ressourcentechnologie (HIF) sowie vom VKTA – Strahlenschutz, Analytik & Entsorgung Rossendorf e. V.
Als erster Experte warf Dieter Heinlein vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR, Projekt Feuerkugelnetz) ein Auge auf das Fundstück – und hatte rasch den Verdacht, es mit einem außergewöhnlichen Exemplar zu tun zu haben. Umgehend kontaktierte er das HZDR mit dem Ansinnen, das Fundstück mit einer Methode namens Gamma-Spektrometrie zu untersuchen. „Die dringlichste Frage lautete, ob es sich tatsächlich um jenen Stein handelte, der am 12. September auf die Erde gestürzt war“, erläutert HZDR-Forscherin Dr. Silke Merchel. „Oder war es ein Meteorit, der schon länger hier weilt?“
Schon im Oktober 2019 begannen die Messungen, und zwar an einem ungewöhnlichen Ort – dem Dresdner Felsenkellerlabor in einer ehemaligen Brauerei. „Es ist von einer 45 Meter dicken Felsschicht überdeckt“, erklärt Laborleiter Dr. Detlev Degering vom VKTA. „Sie schirmt die kosmische Strahlung weitgehend ab.“ Dieser Schutz ist eine wichtige Voraussetzung für die Analyse mit dem Gamma-Spektrometer: Hochempfindliche, strahlungsarme Detektoren lauerten zweieinhalb Wochen lang auf Gammastrahlung, die aus dem Meteorit dringt. Während die Himmelsteine durchs All geistern, werden sie immer wieder von energiereichen Teilchen bombardiert. Dadurch entstehen in ihrem Inneren radioaktive Nuklide, die im Laufe der Zeit zerfallen und Gammastrahlung abgeben. Deren Analyse verrät unter anderem, wann der Stein zuletzt bestrahlt worden war.
„Bereits nach wenigen Stunden wussten wir, dass Flensburg zwei kurzlebige Nuklide enthält, die für Meteoriten typisch sind“, berichtet Degering. „Das bedeutet, dass das Objekt vor relativ kurzer Zeit bestrahlt worden ist.“ Zum Abschluss der Messungen war klar, dass das Ende der Bestrahlung nicht länger als einige Monate zurückliegen konnte. Die Fachleute werten das als entscheidendes Indiz dafür, dass Flensburg tatsächlich ein gerade auf die Erde gefallener Meteorit ist.
Spurenanalyse bis an die Grenze
Allerdings liefert die Gamma-Spektrometrie nur Aussagen über kurzlebige Nuklide. Um nach langlebigen Varianten zu fahnden, griffen die Fachleute zu einer anderen Methode, der Beschleuniger-Massenspektrometrie (AMS, Accelerator Mass Spectrometry). Dafür mussten sie kleine Stücke vom Meteorit absägen und zu einem feinen Pulver zermahlen. Eine Prise des Himmelstaubs erhielt auch Silke Merchel vom HZDR. Sie übernahm die aufwändige chemische Aufbereitung der Proben. „Wir lösen das Pulver mit aggressiven Säuren auf und trennen einzelne Elemente voneinander, die die gesuchten Radionuklide enthalten, etwa Beryllium, Kalzium und Eisen“, erläutert Merchel. Im Massenspektrometer werden diese Elemente dann ionisiert und beschleunigt, wodurch sie sich in ihre Isotope sowie von Elementen mit ähnlicher Masse trennen lassen. Damit lassen sich feinste Spuren eines Radionuklids aufspüren, die Methode erreicht eine Nachweisgrenze bis zu 10-17.
Bislang haben die Fachleute vier Radionuklide bestimmt – Beryllium-10 und Aluminium-26 am HZDR sowie Kalzium-41 und Eisen-60 an der Australian National University (ANU). „Der Flensburg-Meteorit besitzt sehr geringe Konzentrationen dieser Radionuklide“, beschreibt Merchel die bisherigen Resultate. „Da stoßen wir selbst mit unserer hochempfindlichen Methode an die Nachweisgrenze.“ Dennoch lassen insbesondere die Beryllium- und Aluminium-Messungen aufhorchen: Sie deuten darauf hin, dass der Meteorit lediglich in den letzten circa 5000 Jahren der kosmischen Strahlung ausgesetzt war. Eine mögliche Erklärung: Vielleicht stammt der Stein aus dem Inneren eines größeren Himmelskörpers, den eine Kollision vor einigen tausend Jahren aufgebrochen hat. Klar ist: „Der Meteorit hat eine ungewöhnliche Geschichte, die wir durch weitere Analysen aufklären möchten“, konstatiert Merchel. Deshalb wollen die Fachleute andere Radionuklide bestimmen und so das Bild verfeinern.
Himmelsstein im CT-Scanner
Ein weiteres Puzzleteil zur Analyse trug das Team von Dr. Jose Godinho vom Helmholtz-Institut Freiberg für Ressourcentechnologie bei – es durchleuchtete den Meteorit per CT-Scanner (Computertomographie). „Das Funktionsprinzip ist dasselbe wie bei einem CT-Scanner im Krankenhaus“, erläutert Godinho. „Doch während dort der Röntgendetektor um den Patienten herum rotiert, ist es in unserem Spezialscanner die Probe, die gedreht wird.“ So konnten die Forscher eine Bildauflösung von nur zwölf Mikrometern erzielen – etwa zehn Mal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares.
„Als Resultat erhielten wir ein virtuelles dreidimensionales Modell des Meteoriten“, so Godinho. „Es zeigt deutliche Dichteunterschiede im Inneren des Steins.“ Das bedeutet: Flensburg besteht aus unterschiedlichen Bestandteilen. „In den CT-Aufnahmen konnten wir einige Inhomogenitäten entdecken“, sagt Prof. Addi Bischoff, Planetologe an der Universität Münster und Koordinator des Projekts. „Deren Beschaffenheit gehen wir zurzeit auf den Grund.“ Die Untersuchungen an Flensburg sind also noch nicht abgeschlossen – und könnten noch manche Überraschung zutage fördern.